Umkehrangst

Ebenso treffend wie der Titel beschreibt das Gemälde die angstbehaftete Erfahrung der Wohnungslosigkeit: ein aufrechtgehender Mensch wird immer gebeugter, zusammengesunkener, mutloser. Am Ende droht ein grinsender Totenschädel. Was bleibt ist die große Angst davor, der Hoffnungslosigkeit den Rücken zu kehren und wieder den aufrechten Gang zu erlernen - die Angst vor der Umkehrung des Abstiegsprozesses hin zu einem sogenannten "normalen" Leben.

 

 

 

 

 

Umkehrangst

Im März 2000 hatte die Sozialarbeiterin Luisa Görgen die Idee, einen dreitägigen Kreativkurs (jeweils 14.00-16.00 Uhr) in der Tagesstätte für Wohnungslose der Diakonie in Düsseldorf in der Ackerstraße anzubieten. "Weil es so schwer ist, für Obdachlose Freizeitangebote zu machen" nutzte sie ihre eigene Kunstbegeisterung. Auf dem Programm stand Malen und Zeichnen mit den verschiedensten Malmaterialien von Buntstift bis Ölfarbe. Die Materialien wurden gestellt. Ein Treffen mit der Kaarster Künstlerin und Galeristin Ursula Ringes-Scharges gab den Anstoß zu dieser Unternehmung. Ringes-Scharges beteiligte sich tatkräftig. Die Künstlerin erklärte bereitwillig den Umgang mit Pastellkreiden, Aquarell- und Ölfarben sowie vielerlei künstlerischen Techniken und gestalterischen Mitteln. Mit einfachen und effektiven Techniken wie Collagen oder Faltbildern wurden Interessierte an die künstlerische Gestaltung herangeführt. Wer immer zur nachmittäglichen Kurszeit noch nüchtern, fit und interessiert war, konnte mit der Kunst in Kontakt treten und seine Kreativität entdecken.

 

Luisa Görgen und Abel Boukich

Ein zweites Projekt wurde in den Sommerferien 2001 unter dem Thema "Lebenswelten" durchgeführt. Es beteiligten sich 10-12 Personen mit unterschiedlichstem Bildungsstand und verschiedenster Motivation. Während bei vielen die Neugierde im Vordergrund stand, kamen andere ganz gezielt zum Malen um Erlebtes zu verarbeiten. "Wie malt man denn Trauer?" war eine der Fragen. Der künstlerische Ausdruck half, die Trauer um einen gestorbenen Freund zu bewältigen, ohne zur Flasche zu greifen. Der Alkohol ist unter den Wohnungslosen die Bewältigungsstrategie Nummer 1, und es ist eine große Leistung, darauf zu verzichten, um am Nachmittag noch kreativ sein zu können. In der Tagesstätte gilt nämlich striktes Alkoholverbot. Ebenso schwierig ist es, ein Bewußtsein für eine Tagesstruktur, für Freizeit und Beschäftigungen zu gewinnen, statt nur abzuhängen und den Tag zu verdämmern. Als Favorit unter den Freizeitangeboten gilt der Spielenachmittag. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kreativität ist für die meisten Obdachlosen eine völlig neue und spannende Erfahrung. Es tut gut, seine Fähigkeiten zu entdecken und seine Möglichkeiten auszuleben. "Egal wie und wo er lebt, jeder hat kreative Fähigkeiten und das Bedürfnis sie auszuleben." Häufig kommen die Menschen nicht nur um Zeit sinnvoll zu verleben. Sie wollen sich selbst zu spüren erfahren, dass sie Leistungen vollbringen können. Vielfach bringen sie auch große drückenden Probleme und zum Teil schwere Psychosen mit. Es ist erstaunlich, wie erleichternd und bestätigend die schöpferische Betätigung wirkt. Die therapeutische Wirkung der künstlerischen Tätigkeiten ist dabei nicht zu unterschätzen.

So verschieden wie die Menschen und ihre Schicksale sind so verschieden ist dabei ihre bildnerische Ausdrucksweise. Einige Zeichnungen erinnern an Kinderzeichnungen, einige sind farbig und abstrakt, der ein oder andere hat eine Vorliebe für eine bestimmte Technik wie Mattias für das Aufspachteln der Farben. Und einige Gemälde lassen auf große Talente schließen, die leider nie die Chance hatten, zum Vorschein zu gelangen und entwickelt zu werden. Den Abschluss des Projektes bildete eine Ausstellung im Alten Rathaus in Kaarst, bei der von den stolzen Künstlern einige Bilder zum Preis von je 80 DM verkauft werden konnten.

Der Professor

Das dritte Kunstprojekte im März 2002 leitete Luisa Görgen zusammen mit Abel Boukich, einem engagierter und vielversprechender Hobbymaler auf Basis einer Arbeit-statt-Sozialhilfe-Stelle. Er war selber einmal obdachlos. Jetzt sucht er eine Ausbildungsstelle im grafischen Bereich, wenn im Februar seine Anstellung ausläuft. Nachdem das Interesse am Malen nach den ersten beiden Projektwochen immer wieder versickerte, wird dank Boukich seit dem Frühjahr 2002 regelmäßig jede Woche - zurzeit montags von 14.00-16.00 Uhr - ein Malkurs angeboten. Auch Ausstellungsbesuche wie zuletzt in der Surrealistenschau der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf stehen auf dem Programm. Teilnehmen kann jeder! Die Tagesstätte ist für jedermann geöffnet, mit oder ohne Wohnung. Unter den Künstlern sind auch Menschen, die zwar eine Wohnung haben, aber Kontakte zur Obdachlosenszene pflegen und gerne malen.
Im Gegensatz zu den Vorgängerkursen hat sich inzwischen eine relativ feste Gruppe von 5-6 hochintelligenten, besonders cleveren Menschen formiert, die zum Teil allerdings mit Psychosen schwer zu kämpfen haben. Ayshe gehört dazu und Tobias und Max-Peter. Obwohl die Künstler bei Ausstellungen dem Publikum gerne ihre Werke erläutern, signieren sie sie meist nicht. Es gibt eine gewisse Distanz und Scheu gegenüber den eigenen Produkten.
Vom 24. Juli bis zum 31. August 2002 wurden die Arbeiten der Malgruppe in der fiftyfifty-Galerie bei Lehrmittel Hagemann, Karlstrasse 20 in Düsselsdorf präsentiert. Leider gab es keinerlei Resonanz auf die Ausstellung, obwohl die so genannte "Art brut" doch in der Kunstwelt hoch im Kurs steht. Die Kunstwerke sind verkäuflich. Die Künstler würden sich freuen, wenn Sie mit ihren Schöpfungen Geld verdienen könnten. Die Tagestätte für Wohnungslose in der Ackerstraße würde sich über Materialspenden und Ausstellungsangebote freuen.
Stefanie Bednarzyk


Kontakt:
Luisa Görgen und Abel Boukich
Tagesstätte für Wohnungslose Ackerstraße
Diakonie in Düsseldorf
Ackerstraße 7
40233 Düsseldorf
Tel.: 0211-3694643